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Sport und Gesundheit

Sport – fit wie der Jäger und Sammler

Bisher empfahlen Ärzte körperliche Aktivität und Sport meist als Prophylaxe, um den Ausbruch von Krankheiten und Leiden zu vermeiden. Doch seit kurzem kommt im Sinne des Wortes Bewegung in die ganze Medizin. Psychiater und Onkologen, ebenso Orthopäden, Demenzforscher und Kardiologen erkennen: Den Körper in Gang zu setzen hilft Menschen auch dann, wenn sie schon längst krank sind.
In vielen Fällen ist dosiertes Training eine Ergänzung bewährter Therapien. Häufig, so zeigen neue Studien, wirkt Bewegung sogar besser als teure Tabletten und Hightech-Medizin. Sie kann gesundmachende Zellen im Körper wachsen lassen und Krankheitsverläufe umkehren.
Wer sich dreimal in der Woche eine halbe Stunde lang körperlich anstrengt, so entdeckten beispielsweise Forscher der amerikanischen Duke University in einer Vergleichsstudie, schützt sich genauso wirksam gegen Missmut und Trauerattacken wie Menschen, die täglich Stimmungsaufheller schlucken.
Auch bei herzkranken Menschen, berichtet der Kardiologe Rainer Hambrecht von der Universität Leipzig, sei Bewegung inzwischen als Therapeutikum anzusehen, das man wie ein bewährtes Medikament dosieren kann. Hambrecht: „Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit können ihre Lebenserwartung erhöhen, wenn sie beginnen, Sport zu treiben.“
Je mehr die Forscher erfahren und verstehen, desto entschiedener fordern sie die Abkehr vom klassischen Rat, demzufolge der Kranke das Bett zu hüten habe. „Viele Ärzte empfehlen (immer noch) bei verschiedenen Krankheiten körperliche Schonung oder raten von jeglicher körperlicher Aktivität ab“, klagt der Remscheider Internist Herbert Löllgen im „Deutschen Ärzteblatt“. Doch gerade bei Stoffwechselerkrankungen und Gelenkverschleiß sei Nichtstun „meist kontraindiziert“ und verschlechtere sogar die Lebensqualität.
Besonders Krebspatienten werden bis heute vielfach zu körperlicher Untätigkeit angehalten – aus dem ärztlichen Glauben heraus, sie verkrafteten dadurch die Strapazen der Behandlung besser. Doch anscheinend ist eher das Gegenteil wahr, berichtete die „Deutsche Zeitschrift für Onkologie“ Anfang des Jahres. In einem Schwerpunkt beschrieb das Blatt, wie manche Ärzte dazu übergehen, selbst schwerkranken Patienten Ergometer aufs Krankenzimmer zu stellen.
Bewegung verbessert demnach die Lebensqualität und stärkt die körpereigene Krebsabwehr. Doch in Deutschland, klagt Horst Michna von der Technischen Universität München, „ist der therapeutische Wert des Sports in der Krebsnachsorge noch vergleichsweise unbekannt und wird zum Teil sehr stiefmütterlich behandelt“.
Generell dürfte altbackenen Onkel Doktors Rat zur Ruhe das Ableben etlicher Patienten befördern. Beispiel Herzmuskelschwäche: Die krankmachenden physiologischen Vorgänge, die zum Schwund des Pumpmuskels führen, verschlimmern sich, wenn der Betroffene sich nicht mehr bewegt. Gut informierte Mediziner verordnen inzwischen das Gegenteil: Einer aktuellen Übersichtsstudie zufolge kann Sport bei stabiler chronischer Herzinsuffizienz die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, um etwa 35 Prozent senken.
Auch den Einfluss von Inaktivität auf gesunde Menschen haben Forscher neu bewertet: Der unter Büroangestellten so verbreitete Minimalgebrauch der Muskeln kann demnach fast so schädlich sein wie das Qualmen von Zigaretten. Die Sterblichkeitsrate träger Menschen liegt bis zu einem Drittel höher als jene reger Vergleichspersonen. Ein Senior, der nicht jeden Tag eine Meile (1,6 Kilometer) stramm spazieren geht wie sein gleichaltriger Nachbar, wandert – bei sonst gleichen Risiken – sieben Jahre früher ins Grab.
Die Hoffnung, körperliches Nichtstun sei nicht weiter abträglich, sofern man nur das Gewicht halte und sich vernünftig ernähre, halten Evolutionsmediziner wie Frank Booth von der University of Missouri in Columbia für einen Trugschluss. Die modernen Menschen seien genetisch noch immer auf das Leben als Jäger und Sammler programmiert, weil ihre genetische Ausstattung sich in den 10 000 Jahren seit der Steinzeit kaum verändert hat.

Damals vollbrachten die Menschen Tag für Tag athletische Höchstleistungen, wenn sie Nahrung suchten, wilden Tieren nachstellten und Unterkünfte bauten. Diejenigen, die aufgrund ihrer Gene dazu nicht fähig waren, kamen nicht zur Fortpflanzung und starben aus. So entstand in den Überlebenden im Laufe der Jahrtausende ein biologisches Rüstzeug, das immer weiter vererbt wurde. Es bürgt für optimale Abläufe im Körper – aber eben nur, solange ein Individuum sich jeden Tag bewegt.
Auf eines ist das Erfolgsmodell Homo sapiens gar nicht eingestellt: Bewegungsarmut. Heute jedoch findet sich ein großer Teil der Weltbevölkerung in Industriegesellschaften wieder, für die seine genetische Mitgift nie vorgesehen war: Milliarden Menschen verbringen die meiste Zeit ihres Tages im Sitzen oder im Liegen.
Zwar haben sie dank verbesserter Hygiene und Geburtsmedizin sowie Antibiotika eine deutlich längere Lebenserwartung als ihre Vorfahren. Weil aber im bewegungsfaulen Körper die biochemischen Kreisläufe stocken, ballen sich beispielsweise die Blutfette vermehrt zu Gallensteinen: Trägen Personen wird häufiger als dem Rest der Bevölkerung die Gallenblase entfernt. Und weil im lahmen Leib die Verdauung schleppend abläuft, vergrößert sich die Kontaktzeit mit krebsauslösenden Stoffen aus der Nahrung: Inaktive Menschen haben ein um 50 Prozent erhöhtes Risiko, vom Dickdarmkrebs heimgesucht zu werden.
Die meisten Zivilisationskrankheiten führt Evolutionsmediziner Booth darauf zurück, dass der Stoffwechsel wegen allzu großer Untätigkeit aus dem Ruder läuft. Als Minimalanforderung sehen er und andere Forscher 30 Minuten moderate Bewegung am Tag an – etwa Walking oder Schwimmen. Als „inaktiv“ definieren sie alles, was darunterliegt. „Ohne dieses Mindestmaß an körperlicher Aktivität, die unsere Genome von uns erwarten“, sagt Booth, „ist es wahrscheinlich, dass eine pathologische Genexpression zu chronischen Krankheiten führt.“
Das würde bedeuten: Im Körper eines jeden Menschen, der sich nicht täglich mindestens eine halbe Stunde lang ertüchtigt, herrscht Ausnahmezustand. In den Zellen und Geweben laufen permanent krankmachende Vorgänge ab, und es scheint nur eine Frage der Zeit, ehe sich diese in Molesten und Beschwerden äußern.
Das alte Konzept körperlicher Aktivität muss den Evolutionsmedizinern zufolge überdacht werden:

Bewegung ist keineswegs eine nützliche Zugabe, um die Gesundheit zu verbessern. Vielmehr ist sie die Voraussetzung, die das normale Funktionieren des Menschen erst ermöglicht.

Mit den neuen Befunden erscheinen auch die vielfältigen Veränderungen des Körpers, die sich mit den Jahren einstellen, plötzlich in anderem Licht. „Was oft als Alternsvorgang verstanden wird“, sagt der Sportmediziner Heinz Mechling von der Universität Bonn, „ist in hohem Maße das Resultat von Inaktivität.“
Milliarden geben die Deutschen aus für die Produkte der Anti-Aging-Industrie; doch bisher haben alle Pillen, Hormone, Frischzellspritzen, Vitaminkuren und orthomolekulare Verfahren für sich allein kläglich versagt. Es gibt nur einen gemeinsamen Jungbrunnen – aber wer davon trinken will, muss sich anstrengen. „Nachweislich“, so der Remscheider Internist Löllgen, „vermag regelmäßige körperliche Aktivität den biologischen Alterungsprozess aufzuhalten.“
Mediziner und Sportwissenschaftler des „Human Nutrition Research Center on Aging“ der Tufts University in Boston haben dies in einer Vielzahl von Untersuchungen belegt. Im Fitness-Studio des Zentrums strampeln 70 Jahre alte Menschen, die seit Jahrzehnten keinen Sport getrieben haben, auf Ergometern und stemmen Eisengewichte. Die Tufts-Forscher schauen nicht auf Falten, Tränensäcke und zurückweichende Haaransätze. Vielmehr zielen sie auf zehn Größen im Körper („Biomarker“), die sie mit Geräten messen können: Muskelmasse, Kraft, metabolische Umsatzrate, Fettanteil, aerobe Kapazität, Blutzuckertoleranz, Zusammensetzung der Blutfette, Blutdruck, Knochendichte sowie das Vermögen, die Körpertemperatur zu regulieren.
„Wir altern nicht chronologisch, sondern biologisch“, erklärt der Arzt Irwin Rosenberg. „Wenn man die Körperfunktionen erhält, dann kann man den biologischen Alterungsprozess überwinden.“
Die Gruppe um Rosenberg hat bereits vor Jahren ein Programm aus Bewegung und Krafttraining entwickelt, das man zu Hause durchführen kann, und es an zahlreichen völlig untrainierter Menschen ausprobiert. Ein ums andere Mal haben die Ärzte beobachtet: Wer die Übungen 16 Wochen lang befolgt, der verändert unweigerlich seine Biomarker und erhöht auf diese Weise (erst recht, wenn er nicht raucht) die Chancen auf ein langes gesundes Leben.
Eine große Zahl epidemiologischer Studien hat eindeutig ergeben: Tägliche körperliche Aktivität ist verbunden mit einem verringerten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Gedächtnisschwund, Depression, Diabetes, Fettleibigkeit, und sie verlängert das Leben. Auch das Risiko für Brust- und Darmkrebs kann durch sie gesenkt werden. Gewiss, körperliche Bewegung kann dem Einzelnen niemals garantieren, dass Erkrankungen ausbleiben.
Gleichwohl lässt sich der segensreiche Effekt von präseniler Bettflucht und Aktivität nicht wegdiskutieren. 90 Prozent der über 50-Jährigen würden von regelmäßigem Training profitieren. „Es muss nicht immer Joggen sein“, sagt Herbert Löllgen, 63, der stetig trainiert und bisher zehn Marathonläufe absolviert hat. „Schon Nordic Walking und schnelles Spazierengehen haben einen nachweisbaren Effekt.“
Die Leibesübungen verheißen genau das, wonach das Volk lechzt: körperlich und geistig fit zu bleiben. Nach jedem Jahreswechsel strömen reuige Bewegungsmuffel, ihren guten Vorsätzen getreu, zu Tausenden in die Fitness-Studios. Und doch: Bei der Verwirklichung des Traumes täuschen sich viele selbst. Zwar behaupten 60 Prozent der erwachsenen Bundesbürger in Befragungen, sie seien sportlich aktiv. In Wahrheit jedoch erreichen allenfalls 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung jene Minimalbeanspruchung, die der Gesundheit hilft.
Der Bundes-Gesundheitssurvey offenbarte: Etwa 65 Prozent der 50- bis 59jährigen Frauen und 60 Prozent der Männer desselben Alters sind kaum mehr in der Lage, die Treppe drei Stockwerke hochzugehen. Von den 30- bis 59-jährigen Frauen und Männern treiben mehr als die Hälfte überhaupt keinen Sport. Mehr als 65 Prozent der über 40 Jahre alten Männer sowie mehr als 70 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe gelten als inaktiv (siehe Grafik Seite 20).
Aufgrund ihrer Steinzeitgene bekommt ihnen dieses Lotterleben schlecht. Sie nehmen zwar etwa ein Drittel weniger Kalorien zu sich als ihre nimmersatten Vorzeitahnen. Jedoch verbrennen sie, bezogen aufs Körpergewicht, nur noch 38 Prozent so viel Energie. Der Körper spült das Übermaß an Sahnekuchen, Leberwurstbroten und Weizenbieren nicht einfach wieder hinaus. Vielmehr macht er daraus – es könnte ja eine Hungersnot kommen – störende Fettpolster an Bauch und Po.
Wohin der archaische Regelkreis führt, haben Forscher an den Pima-Indianern studiert, die in Mexiko und in den USA leben. Die US-Pima verputzen jeden Tag 500 bis 600 Kilokalorien mehr als die genügsameren Stammesgenossen im ärmeren Mexiko. Die Folge: Sie sind im Durchschnitt 26 Kilogramm schwerer und haben eine der weltweit höchsten Diabetesraten. Jeder Zweite der Pummel-Pimas ist zuckerkrank.
Den Ausbruch dieses Stoffwechselleidens führen Evolutionsmediziner als Paradebeispiel dafür an, wie der menschliche Organismus noch auf Steinzeit gepolt ist. Der Körper vermag nur eine kleine Menge an Traubenzucker (Glukose) in Muskeln und Leber zu speichern; dieser Vorrat ist schon nach einem Fastentag erschöpft. Deshalb braucht der Körper Regelkreise, die den Glukosevorrat in Hungerszeiten schützen.
„Für unsere Vorfahren war es von Vorteil, dass nur aktive Muskeln dem Blutstrom Glukose entziehen können“, erklärt Booth. In Zeiten von Kartoffelchips und Autofahren gerät dieses System zum Nachteil: Die inaktiven Muskeln sind unfähig, Glukose aus dem Blut zu fischen, so dass diese sich dort immer stärker konzentriert. Um den hohen Blutzuckerspiegel zu regulieren, bildet die Bauchspeicheldrüse in gewaltigen Mengen das Hormon Insulin. Doch durch die überschießende Ausschüttung werden die eigenen Körperzellen resistent gegen das Hormon. Der Zuckerstoffwechsel bricht zusammen, der Mensch erkrankt an Diabetes. Übersteigt die Glukosekonzentration einen Schwellenwert, so drohen Kreislaufschwäche, schwere Gefäßschäden, Erblindung und Zuckerkoma.
Ein ebenso simples wie erfolgreiches Mittel gegen die Zuckerkrankheit (Diabetes Typ 2) ist es, die Kranken körperlich zu mobilisieren. In der chinesischen Stadt Daqing wurden Müßiggänger, deren Glukosehaushalt schon gestört war, dazu verdonnert, sich regelmäßig körperlich zu regen. Dafür durften sie weiterhin essen und trinken, wie es ihnen gefiel. Nach sechs Jahren war ihr Diabetesrisiko um 46 Prozent gesunken. Vergleichspersonen, die faul blieben, aber ihre Ernährung umstellten, erzielten nur eine Reduktion von 31 Prozent.
Um den Krieg gegen chronische Krankheiten zu gewinnen, halten Physiologen regelmäßige Bewegung inzwischen für wirksamer als Diäten und das ewige Aufdie-Waage-Schielen. Wer seine archaischen Gene mit Hungerkuren überlisten will, ist in aller Regel zum Scheitern verurteilt. Die Gene sind eben so gepolt, dass man nach dem saftigsten Schinken und nach den süßesten Früchten greift.
Eine wissenschaftliche Auswertung ergab: Seit 50 Jahren wechseln Diätmoden einander ab, ohne dass auch nur eine Wunderkur gefunden wäre. Wer eine Diät 15 Wochen durchhält, kann zwar an die elf Kilogramm verlieren. Allerdings ist der Effekt spätestens nach drei bis fünf Jahren verpufft und das alte Gewicht wieder erreicht.
Umgekehrt nutzt Bewegung der Gesundheit – und zwar sogar dann, wenn man gar nicht abnimmt. Sie schützt gerade fettleibige Männer besonders wirksam vorm Infarkt. Aber auch aktive dicke Frauen haben im Vergleich zu inaktiven dünnen ein vermindertes Risiko für Herzleiden.
Die ersten Hinweise, wie wichtig Bewegung fürs Wohlsein ist, lieferte die Weltraumforschung. Um die Auswirkung der Schwerelosigkeit auf den Körper zu ergründen, wurden 1966 in einem Krankenhaus in Dallas fünf junge Männer drei Wochen lang ins Bett gesteckt. Sie bekamen eine spezielle Magerkost, damit sie nicht zunahmen, und durften sich nicht bewegen. Unter die Dusche ließ man sie in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal, auf die Toilette schob man sie im Rollstuhl.
Es waren menschliche Wracks, die sich da nach 21 Tagen schwerfällig aus den Betten erhoben: Das Vermögen, Sauerstoff aufzunehmen, war um 28 Prozent verringert und das Schlagvolumen des Herzens
um 25 Prozent. Der Pumpmuskel war um 11 Prozent geschrumpft. Als sie auf einem Laufband rennen sollten, sanken zwei der Burschen ohnmächtig danieder.
Der Verfall, den die fünf Kerle im Zeitraffer erlebten, spielt sich gegenwärtig in weiten Kreisen der Bevölkerung ab, allerdings verteilt auf viele Jahre. Im Mittelabschnitt ihres Lebens rutschen etliche Bürger in einen passiven Lebensstil. Je mehr sie sitzen, desto schneller schrumpfen ihre Muskeln und werden durch Fett ersetzt.
„Sarkopenie“ (nach dem griechischen „sarx“ für Fleisch und „penia“ für Mangel) hat Tufts-Forscher Rosenberg das Phänomen bereits 1988 auf einer Konferenz getauft. „Dieser heimtückische Niedergang der Körperstrukturen und der allmähliche Verlust der Leistungsfähigkeit“, sagt der Arzt, „wird dann zur willkommenen Entschuldigung dafür, den Zustand der Unbeweglichkeit beizubehalten.“ Sarkopenie-Opfer fänden es sogar normal, dass sie kaum mehr Kraft besäßen: Das sei, so ihre Erklärung, nun einmal eine natürliche Folge des Altwerdens.
Welch ein Irrtum! Selbst hochbetagte Menschen können einen Großteil ihrer Kraft erhalten, wenn sie denn nur ihre Muskeln regelmäßig belasten. Die Forscherin Maria Fiatarone ließ zehn Frauen und Männer, die zwischen 87 und 96 Jahre alt waren und in einem Krankenhaus lebten, acht Wochen lang mit Gewichten trainieren: Die Muskelmasse an den Oberschenkeln wuchs um zehn Prozent – was die Greise fast dreimal so kräftig machte. Zudem wurden sie trittsicherer und konnten schneller gehen als zuvor. Der Teilnehmer Sam Semansky, damals 93, ließ fortan seine Gehhilfe stehen.
Kraft- und Koordinationstraining tut auch den Knochen gut und schützt gerade im Alter besser vor Brüchen als Medikamente, wie eine großangelegte Studie ergeben hat. In den USA wurde das Befinden von knapp 10 000 Frauen über 65 untersucht, und zwar über einen Zeitraum von fünf Jahren. Diejenigen, die pro Woche etwa zwei Stunden lang ihren Körper trainierten, hatten 36 Prozent weniger Hüftfrakturen als träge Seniorinnen, vermeldete das Fachblatt „Annals of Internal Medicine“.
In absoluten Zahlen ausgedrückt: Im Laufe eines Jahres und bezogen auf 1000 Frauen gab es in der Gruppe der trainierten Frauen sechs gebrochene Hüften weniger als bei den trägen Frauen. Dieser Effekt ist zweimal so groß wie jener, den man in einer Studie durch das Schlucken teurer Osteoporose-Tabletten erreichen konnte.
Entscheidend für die Vermeidung von Frakturen ist, dass guttrainierte Menschen erst gar nicht so oft stürzen. Ihnen hilft die Verbesserung der Körperkraft, der Trittsicherheit und des Gleichgewichtssinns. Krafttraining, urteilt der amerikanische Hausarzt und Medizinautor John Abramson, sei „eine der besten Möglichkeiten, die Knochendichte zu erhöhen und Stürze zu vermeiden“.
Tai-Chi schult die Körperbeherrschung und vermindert ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, sich im Alter die Knochen zu brechen. In Werbebotschaften von Arzneimittelherstellern und Anbietern der Knochendichtemessungen werden solche durchaus wirksamen Maßnahmen, die jeder von sich aus ergreifen kann, naturgemäß nicht weiter propagiert.
Kreuzschmerzen sind ein weiteres Leiden, bei dem Bewegung als Schlüssel zur Selbstheilung entdeckt wird. So fanden englische Orthopäden in diesem Frühjahr heraus, dass ein Trainingsprogramm bei Rückenkranken genauso wirksam, darüber hinaus aber billiger und sicherer ist als die Versteifungsoperation, bei der die Wirbel mit Schrauben und Stäben miteinander verschränkt werden. Der mit Komplikationen einhergehende Eingriff wird zwar seit nunmehr 90 Jahren munter an Patienten durchgeführt. Bis zur Studie der Engländer sah sich jedoch kein Doktor bemüßigt, dessen Nutzen einmal auf den Prüfstand zu holen.
Auch rheumatische Kniegelenke sind bis heute eine Domäne der Medizinindustrie: Entweder es werden Arthritismedikamente verschrieben, oder es werden künstliche Kniegelenke eingesetzt. Die Forscherin Miriam Nelson von der Tufts University in Boston jedoch glaubt herausgefunden zu haben, dass es auch ganz anders geht: Geplagte Patienten können sich selbst womöglich am besten helfen – indem sie die Muskeln ihrer schmerzenden Beine gezielt kräftigen.
Mit ihren Kollegen hat Nelson ein 16-Wochen-Training entwickelt, das man mit einem Stuhl und Gewichten an den Knöcheln zu Hause durchführen kann. Nach wissenschaftlichen Kriterien wurde das Programm mit Nichtstun verglichen.
Die Sportler berichteten über deutlich weniger Schmerzen und konnten 17 verschiedene körperliche Aufgaben weit besser bewältigen als die inaktiven Kontrollpersonen. Miriam Nelson sagt: „Auf einmal konnten Leute, die Alltagsaktivitäten aufgrund ihrer Arthritis als immer schwieriger und schmerzhafter empfanden, wieder am Leben teilnehmen, wie es ihnen jahrelang nicht mehr möglich war.“
In der Summe kann Bewegung in einer immer älter werdenden Gesellschaft wie Deutschland den Ausbruch von Krankheiten verzögern und die Zahl der gesunden Tage mehren. James Fries von der Stanford University School of Medicine in Kalifornien hat beispielsweise 370 Mitglieder eines Laufvereins und 249 träge Menschen untersucht. Zu Beginn der Studie waren die Teilnehmer im Durchschnitt 59 Jahre alt. Nach 13 Jahren erkundigte sich Fries, wie es den Leuten in der Zwischenzeit denn so ergangen sei. Das Ergebnis: Gesundheitliche Beeinträchtigungen waren bei den Läufern statistisch gesehen 12,8 Jahre später aufgetreten als bei den Faulpelzen.
So eindeutig die Datenlage, so schwierig ist es für Ärzte, die Menschen zum Mitmachen zu motivieren. Der Leipziger Herzspezialist Hambrecht etwa ist frustriert über viele rauchende, immobile und schwergewichtige Patienten, die er nicht zur Änderung ihrer Gewohnheiten bringen kann. Dabei hat er Argumente vorzuweisen, die in der internationalen Fachwelt derzeit für Aufsehen sorgen. Bis ins molekulare Detail können die Leipziger mittlerweile den Einfluss körperlicher Bewegung auf das Herz erklären.
Zu seinem Team an der Universität Leipzig zählen ein Sportlehrer und mehrere Molekularbiologen; in zwei Räumen stehen Laufbänder, Fahrräder und ein Ultraschallgerät zur Untersuchung der Herzkranzgefäße bereit.
In einer Studie ließen die Leipziger zwölf Menschen mit Herzmuskelschwäche sechs Monate lang Sport treiben: jeden Tag 20 Minuten Radfahren und 60 Minuten Walking oder Ballspiele pro Woche. Anschließend entnahmen die Forscher den Freiwilligen Gewebeproben aus dem Streckmuskel des Oberschenkels.
Das Ergebnis vermeldeten die Leipziger vergangenes Jahr im Fachblatt „Circulation“: Im Vergleich zu elf passiven Herzpatienten hatte sich in den Sportlermuskeln die Aktivität sogenannter Radikalfängerenzyme deutlich erhöht. Diese Enzyme vernichten Sauerstoffradikale, die den Herzmuskel schädigen und die Pumpschwäche maßgeblich bewirken. Im Klartext: Durch Fahrradfahren und Spazierengehen kann ein Herzpatient seine Krankheit direkt auf molekularer Ebene bekämpfen.
Es fängt schon damit an, dass im Zuge körperlicher Anstrengung das Blut flotter durch die Adern fließt als im Ruhezustand. Die erhöhten Scherkräfte führen dann dazu, dass im Innern der Gefäße ein bestimmtes Enzym vermehrt hergestellt wird. Dieses Enzym wiederum sorgt für die Bildung des Botenmoleküls Stickstoffmonoxid, das seinerseits die Dehnbarkeit der Blutgefäße sicherstellt. Genau diese Fähigkeit ist bei einer Arteriosklerose erheblich eingeschränkt. Es gilt also: Durch Sport kann man die beginnende Verkalkung seiner Gefäße umkehren.
Die Effekte lassen sich bei einzelnen Patienten nachweisen. So teilten die Leipziger 100 Männer, deren Herzkranzgefäße schon zu 75 Prozent verengt waren, in zwei Gruppen. Bei der einen Hälfte weiteten die Ärzte Engstellen mit einem aufblasbaren Ballon und setzten Stahlröhrchen, sogenannte Stents, in die verkalkten Gefäße. Den anderen verschrieben sie nichts als Sport, jeden Tag 20 Minuten.
Nach einem Jahr zogen die Kardiologen Bilanz: Von den Sportlern waren 88 Prozent ohne Beschwerden geblieben – bei den Stent-Patienten traf das nur auf 70 Prozent zu. Und mehr noch: Etlichen von Letzteren mussten noch mehr Stents eingesetzt werden, und überdies lagen sie viel häufiger mit schmerzendem Brustkorb im Krankenhaus.
Körperliche Aktivität normalisiert nicht nur die biochemischen Kreisläufe, sondern lässt in Organen und Geweben neue Zellen heranwachsen. Das erfuhren die Leipziger Ärzte, nachdem sie 18 Männer mit Raucherbein im Anfangsstadium dazu gebracht hatten, vier Wochen lang jeden Tag einmal auf dem Laufband zu joggen. Obwohl viele von ihnen nach 50 bis 200 Metern schon am Ende ihrer Kräfte waren, bewirkte die Laufkur selbst in ihren malträtierten Körpern Wunderliches: Die Zahl der zirkulierenden Stammzellen verdreifachte sich; und die zellulären Alleskönner machten sich daran, die kaputten Gefäße von innen zu reparieren. Bewegung, glaubt Hambrecht, sei womöglich eine „körpereigene Stammzelltherapie“.
Psychiater und Gerontologen lässt dieser Befund nicht weiter staunen. Auch sie haben mittlerweile Hinweise gefunden, dass körperliches Tun neue Zellen sprießen lässt – im Gehirn.
Dabei galt bis vor kurzem noch der umgekehrte Fall als normal: Jeden Tag gehen Tausende Nervenzellen zugrunde. Auf diese Weise wird das Denkorgan mit den Jahren immer kleiner. Zwischen dem 30. und dem 90. Geburtstag gehen 15 bis 25 Prozent der grauen Zellen verloren, wobei ausgerechnet die fürs Lernen und Erinnern zuständigen Areale am stärksten schrumpfen.
Der Psychologe Arthur Kramer von der University of Illinois in Urbana-Champaign hat diesen Hirnschwund nachweisen können, als er die Köpfe von 55 älteren Menschen mit einem Kernspintomografen durchleuchtete. Er hatte jedoch auch gute Nachrichten zu berichten: Bei jenen Probanden, die bei Tests auf dem Laufband am besten abschnitten, waren die Verluste im Denkorgan deutlich vermindert. Zwar starben auch bei ihnen Zellen ab, jedoch ging das offenbar mit einer erhöhten Neubildung von Neuronen einher.
In einem anderen Experiment durchleuchtete Kramer die Gehirne von Testpersonen, während diese Denkaufgaben zu lösen hatten. Nicht nur, dass die fitteren Probanden dabei besser abschnitten als bewegungsscheue Vergleichspersonen. Auch zeigten ihre Gehirne eine höhere Aktivität, während sie die Aufgaben angingen.
„Fitness-Training verbessert die Wirksamkeit und Leistung von Nervenzellen“, sagt Kramer. „Ältere Gehirne sind viel anpassungsfähiger und formbarer, als man es uns beigebracht hat.“
Tatsächlich mehren sich in jüngster Zeit die Hinweise, dass ein Mindestmaß an Betätigung in der Freizeit vor Demenz und dem Altersschwachsinn Alzheimer schützt, der allein in Deutschland 700 000 Bürger befallen hat. Im Oktober vorigen Jahres etwa veröffentlichten schwedische Forscher die Daten von Menschen, deren Gewohnheiten in puncto Bewegung seit 20 Jahren penibel aufgezeichnet worden waren. Das Ergebnis: Diejenigen, die im Mittelabschnitt des Lebens wenigstens zweimal in der Woche körperlich aktiv waren, haben ein um 60 Prozent verringertes Risiko, an Alzheimer zu erkranken.
Sogar wenn sich im Kopf bereits Schusseligkeit und Verwirrung bemerkbar machen, kann Bewegung offenbar wie eine gute Medizin wirken. Bei Labormäusen, die über Monate regelmäßig auf Laufrädern rannten, verringerten sich im Gehirn jene Ablagerungen (Amyloidplaques), die mit der Alzheimerschen Krankheit einhergehen. „Anstelle einer Arznei“, so der federführende Forscher Carl Cotman von der University of California in Irvine, „war es ein natürliches Verhalten, das zur Verringerung der Alzheimer-typischen Pathologie“ im Gehirn geführt hat.
Menschen scheinen von dem Effekt ebenfalls zu profitieren, berichtete das Blatt „Annals of Internal Medicine“. Die Erhebung an 1750 älteren Leuten ergab: Moderates Wandern, Schwimmen, Aerobic oder etwa Krafttraining halfen jenen Senioren am meisten, die zu Beginn der Studie bereits leicht verwirrt waren – es ist demnach also nie zu spät, den Leib in Schwung zu bringen. „Selbst wenn man 75 Jahre alt ist und nie zuvor körperlich aktiv war“, sagt Eric Larson von der University of Washington in Seattle, „kann man immer noch profitieren, wenn man jetzt damit anfängt.“
Es ist der Geist, schrieb einst der Dichter Friedrich Schiller, der sich den Körper baut. Nun sagen Hirnforscher: Das Gegenteil trifft offenbar ebenfalls zu. Wer seinen Leib trainiert, der züchtet sich im Oberstübchen frische Nervenzellen heran, die dann das Denkvermögen verbessern.
Doch wie genau formt ein aktiver Körper seinen Geist?
Beim Studium von Labortieren hat Henriette van Praag vom Salk Institute im südkalifornischen La Jolla offenbar die Antwort gefunden. Von einer Biotech-Firma, die pleitegegangen war, bekam die Neurowissenschaftlerin 19 Monate alte Mäuse (das entspricht einem Menschenalter von 60 Jahren) geschenkt. Sie waren ihr ganzes Leben lang in Käfigen gehalten worden.
Die eingepferchten Nager waren ideal, um den Effekt von Fitness auf abgestumpfte Gehirne zu studieren. Eine Hälfte der Mäuse setzte van Praag, 44, in einen Käfig mit Laufrad, auf dem sie jeden Tag fünf bis sechs Kilometer rannten. Der anderen Hälfte hingegen wurde eine Möglichkeit zur Bewegung weiter verwehrt.
Nach 35 Tagen ließ Henriette van Praag jede Maus in eine milchige Wasserwanne plumpsen. In der Mitte des kreisrunden Pools befand sich eine versteckte Plattform, auf der Mäuse stehen können, vergleichbar einer verborgenen Untiefe im Meer. Da die Nagetiere wasserscheu sind, bleiben sie auf der Plattform, wenn sie beim Herumpaddeln auf diese stoßen. Setzt man ein und dieselbe Maus nun mehrere Male nacheinander ins Becken, so merkt sie sich die Lage der Plattform.
Und siehe da: Das Abschneiden bei diesem Lerntest hing stark davon ab, wie viel die Altmäuse sich zuvor körperlich bewegt hatten. „Faule alte Mäuse gaben bald auf, dümpelten herum und warteten darauf, dass ich sie aus dem Becken hob“, erzählt van Praag, die ihre Ergebnisse im vergangenen Jahr im „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht hat. Während die trägen Tiere im Durchschnitt 30 Sekunden brauchten, bis sie auf die Plattform stießen, waren die trainierten Artgenossen doppelt so schnell: Nach 15 Sekunden schon hatten sie die Zuflucht gefunden.
Die Unterschiede in der Denkkraft führen van Praag und ihre Kollegen darauf zurück, dass in den Köpfen der Laufradmäuse frische Nervenzellen gewachsen waren. Denn zehn Tage nach dem Schwimmtest wurden die Mäuse getötet und die Zahl der neugebildeten Nervenzellen in ihren Gehirnen gezählt. Tatsächlich hatten sich bei den Sportlern wesentlich mehr Hirnzellen zu voll funktionstüchtigen Neuronen entwickelt als bei den Nichtrennern. Die verkümmerten Gehirne der Mäuse wurden auf dem Laufrad gleichsam verjüngt.
Die Leibesertüchtigung kurbelt offenbar die Produktion von Proteinen an, die gezielt Nervenzellen wachsen lassen. BDNF („brain-derived neurotrophic factor“) heißt eine der Substanzen, die als Gehirndünger wirken. Schon trachten die Forscher in La Jolla danach, möglichst viele dieser Zauberstoffe im Körper des Menschen dingfest zu machen – beispielsweise, indem sie das Blut von Sportlern mit dem von Nichtsportlern vergleichen und jene Proteine identifizieren, die im Sportlerblut gehäuft vorkommen. Im nächsten Schritt wollen sie diese Substanzen zu embryonalen Stammzellen in der Kulturschale fügen und schauen, ob diese tatsächlich zu Nervenzellen heranreifen.
Obwohl die Experimente noch ganz am Anfang stehen, gibt sich Henriette van Praag jetzt schon überzeugt, dass nicht nur alte Mäuse-, sondern auch betagte Menschengehirne von körperlicher Bewegung profitieren. „Wenn Sie ihre alternden Verwandten vor Parkinson schützen wollen“, empfiehlt die aus den Niederlanden stammende Wissenschaftlerin, „dann kaufen Sie denen ein Laufband.“
Es ist ein Rat, den vor allem in den USA viele Krebspatienten schon heute befolgen. Als Anna Schwartz, 42, an einem Non-Hodgkin-Lymphom erkrankte, erinnerte sie sich an ihre Erfahrungen als Krankenschwester in einer Klinik für Krebskranke: Jene Patienten, die trotz der belastenden Strahlentherapie körperlich aktiv blieben, „waren einfach besser drauf“. Und als Schwartz dann selbst eine Chemotherapie bekam, zwang sie sich zum Sport, ging laufen und spielte Tennis – trotz Katheter in ihrem Körper.
Inzwischen hat die durchtrainierte Frau, die als geheilt gilt, aus ihrer Geschichte einen Beruf gemacht: Sie bietet in Cave Creek, Arizona, eine Reittherapie für Krebskranke an, hält Vorträge vor Patienten und hat ein Buch über Fitness und Krebs geschrieben. Das Vorwort hat der Radfahrer Lance Armstrong beigesteuert, der nach überstandenem Hodenkrebs siebenmal die Tour de France gewann.
Inspiriert von seiner kaum glaublichen Story, versuchen amerikanische Krebspatienten schon seit Jahren, ihre Überlebenschancen durch hartes Training zu verbessern.
Dabei haben Onkologen Sport für Krebspatienten lange Zeit eher abgelehnt. Die Anstrengung, so fürchteten sie, schwäche nur das Immunsystem. Doch der Druck der Patienten habe viele Ärzte umdenken lassen, berichtet Julia Rowland vom „National Cancer Institute“ in Bethesda, Maryland. Immer mehr Studien seien deshalb aufgelegt worden, um den Einfluss von Bewegung auf Krebspatienten zu ergründen.
Die Befunde, so erzählt Rowland weiter, hätten offenbart, dass die Sorgen der Onkologen unbegründet waren. In vielen Fällen verbesserte Bewegung die Gemütslage der Patienten und minderte die Nebenwirkungen von Bestrahlung und Chemotherapie. Dass Sport aber die Überlebensdauer von Tumorpatienten verlängern könnte, vermuteten zunächst nicht einmal die Optimisten.
Im Mai vorigen Jahres jedoch nahm die Forschung eine Wendung, mit der so keiner gerechnet hatte. Gleich zwei Studien kamen zu dem Schluss: Körperliche Aktivität kann das Überleben von Krebspatienten tatsächlich verlängern.
Die Effekte sind in absoluten Zahlen klein, aber sie betreffen zwei der häufigsten und gefährlichsten Krebsarten. Die eine Studie befasste sich mit 816 Menschen, die an Dickdarmkrebs im Frühstadium erkrankt waren. Sie alle wurden operiert und einer Chemotherapie unterzogen. Zwei bis drei Jahre nach den Heilversuchen erkundigte sich Jeffrey Meyerhardt vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston, wie es den Behandelten ergangen war und wie sehr sie sich körperlich bewegt hatten. Die Auswertung ergab: Jene Menschen, die beispielsweise zwei bis drei Stunden pro Woche joggten, hatten deutlich weniger Rückfälle. Seither sagt Meyerhardt, 36, seinen Patienten, dass Bewegung ihnen „einen Vorteil bringen könnte“.
Ähnliches hat Michelle Holmes, 50, herausgefunden, die nur wenige hundert Meter entfernt im Brigham & Women’s Hospital arbeitet. Sie hat die Krankheitsverläufe von 3000 Frauen mit Brustkrebs ausgewertet und mit deren Angaben zu körperlicher Aktivität abgeglichen. „Wer drei bis vier Stunden in der Woche spazieren geht“, sagt die Epidemiologin, „der hat ein um 50 Prozent verringertes Risiko, an Brustkrebs zu sterben.“
Allerdings, beeilen sich Meyerhardt und Holmes zu sagen, stellten die Befunde noch keinen Beweis dar. Auch Patienten, die jeden Tag im Sportstudio schwitzen, sterben leider häufig am Ende doch an ihrer Krebskrankheit.
Gleichwohl haben die Ergebnisse viele Onkologen elektrisiert. „Das ist jetzt eines der aufregendsten Gebiete der Forschung“, sagt Julia Rowland. Allein ihr National Cancer Institute fördert gegenwärtig mehr als zwei Dutzend Forschergruppen, die dem möglichen Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und dem Überleben krebskranker Menschen nachspüren.