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Schmerz

Effektive Schmerztherapie, so das Fazit zahlreicher Untersuchungen, muss auch psychologische Intervention umfassen. Interdisziplinäre Maßnahmen sind medikamentöser Monotherapie überlegen – nicht nur bei Schmerzreduktion und Analgetika-Verbrauch.
Volkskrankheit chronische Schmerzen: 19 Prozent der Bevölkerung in den EU-Ländern sind davon betroffen. Auch auf bundesdeutschen Rezepten stehen, wie der Arzneimittelreport 2008 bescheinigt, am häufigsten Analgetika. Das dauerhafte Leiden ist nicht nur individuell, sondern auch volkswirtschaftlich enorm belastend. Nach den Worten von Prof. Dr. Michael Pfingsten, Präsident der DGPSF, Schmerztagesklinik Universität Göttingen, schlägt beispielsweise allein die Versorgung der Rückenschmerzpatienten zwischen Flensburg und Garmisch mit jährlich 50 Milliarden Euro zu Buche. Eine nachhaltig wirksame Schmerztherapie, das zeigen nur diese wenigen Daten, ist nach wie vor eine der großen Herausforderungen der Medizin…
Um ihr erfolgreicher zu begegnen, sollten bei Schmerzpatienten künftig auch psychologische Interventionen zum Einsatz kommen. Denn das medizinisches und psychologisches Expertenwissen im Kombipack zu beachtlichen Erfolgen führt, »ist heute wissenschaftlich hinreichend erwiesen«, so Prof. Dr. Harald Traue, Medizinische Psychologie Universität Ulm: Die interdisziplinäre Schmerztherapie ist der medikamentösen Monotherapie in der Reduktion von Schmerzintensität und Schmerzmittelverbrauch signifikant überlegen. Auch im Hinblick auf die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung und der Rückkehr in das Berufsleben hat die Schmerzpsychotherapie einen Vorsprung.
Die psychologischen Therapiemaßnahmen, wie vor allem kognitiv-behavoriale Methoden und Biofeedback, können auch alternativ zur medikamentösen Behandlung eingesetzt werden. Besonders wirksam ist unter anderem das so genannte Extinktionstraining. Laut Prof. Dr. Herta Flor, Neuropsychologie und Klinische Psychologie, Universität Heidelberg werden dabei gezielt Reize angegangen, die als Schmerzverstärker gelten. »Indem wir diese verringern und abstellen, können wir bestimmte Inhalte des Schmerzgedächtnisses löschen«. Damit kann die Schmerzreaktion auf den betreffenden Reiz nicht mehr ausgelöst werden und wird wieder »verlernt«.

Schmerz, ein bio-psycho-soziales Geschehen

Dass psychologisches medizinisches Expertenwissen so wirksam ergänzt, ist nach Ansicht von Prof. Traue wenig erstaunlich. »Schließlich besitzt jeder Schmerz somatische wie psychische Komponenten« – ein bio-psycho-soziales Geschehen, dem entsprechend zu begegnen ist. Bereits im akuten Stadium, wie jüngste Erkenntnisse der Schmerzforschung zeigen: »Wir wissen heute, dass nicht kontrollierter Akutschmerz zu zentralnervösen Veränderungen führt«, so Prof. Dr. Herta Flor, Neuropsychologie und Klinische Psychologie, Universität Heidelberg. Diese Veränderungen wirken sich äußerst nachteilig auf das Schmerzgedächtnis aus. Laut Prof. Flor werden neue Schmerzreize stärker wahrgenommen, anders verarbeitet und abgespeichert. Zudem werden schmerz hemmende Systeme in ihrer Effizienz geschwächt. Effekte, die negative emotionale Lernprozesse wie Angst, Depressionen, Unkontrollierbarkeit und Stress noch verstärken.

Was weiterhin dafür spricht, die Schmerzpsychotherapie so früh wie möglich einzusetzen. Vor allem bei Patienten im Kleinkindalter – eine besonders sensible Phase für strukturelle und funktionelle Veränderungen des schmerzverarbeitenden Systems. Nach den Worten von Prof. Dr. Christiane Hermann, Klinische Psychologie Universität Gießen, werden Kinder umso schmerzempfindlicher, je früher sie Schmerzen durchmachen müssen. Wiederholtes Schmerzerleben lässt bei ihnen ein spezifisches Muster an Veränderungen der Schmerzempfindlichkeit und schmerzbezogener Vigilanz entstehen. Laut Prof. Hermann ist das »ein sicherer Indikator für chronische Schmerzen im Erwachsenenalter«.

Wirksamere Analgesie dank Placeboeffekt

Hilfreich sein kann hier der Einsatz von Placebos – per definitionem jede Maßnahme, die ohne naturwissenschaftlichen Nachweis einer spezifischen Wirkung ein besseres Befinden hervorruft. An diesem Phänomen zeigt sich am eindrucksvollsten, wie umfassend wirksam psychologische Schmerztherapien sind: Der Placeboeffekt, »ein komplexer Vorgang aus Lernen und Erwartung« kann die Wirksamkeit analgetischer Medikamente laut Dr. Regine Klinger, Leiterin der psychotherapeutischen Hochschulambulanz Universität Hamburg, deutlich verstärken. »Unsere Befunde bestätigen, dass sich über den Placeboeffekt ein relevanter analgetischer Effekt systematisch aufbauen und erhalten lässt«, so Dr. Klinger.
Zu diesem Fazit kommen auch andere Untersuchungen – für die klinische Bedeutung des Placeboeffekts in der Schmerztherapie besteht inzwischen hinreichend empirische Evidenz. Entsprechend fand er nun erstmals Eingang in die offiziellen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur »Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen«.

Mit dem Placeboeffekt sollen psychologische Strategien gezielt zur Schmerzbewältigung und -reduzierung eingesetzt werden. Es geht nach den Worten der Hamburger Placeboforscherin also keinesfalls darum, Analgetika durch Scheinmedikamente zu ersetzen. Vielmehr soll die rein pharmakologische Wirkung von Schmerzmitteln additiv optimiert werden. Dr. Klinger und ihr Team nutzen den Placeboeffekt beispielsweise, indem die Patienten das analgetische Präparat gezielt in Situationen einnehmen, die zur Schmerzbewältigung beitragen. Entspannungsübungen und das Aufbauen positiver Gedanken unterstützen diesen Prozess. »Der Patient wird instruiert und kann eine positive Erwartungshaltung aufbauen«, so Dr. Klinger.

1 Kommentar

1 tony { 22.2.2010 um 11:07 }

schöne ausführliche übersicht, finde diesen artikel absolut lesenswert und werde ihn meinen kollegen weiter empfehlen.

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